Statistik sei dank
Ich komme häufig zu spät. Ich weiss, dass dies unanständig ist, dass es eine Untugend ist, die in der heutigen Gesellschaft eine rufschädigende Wirkung mit disqualifizierendem Ausmass hat. Aber darum geht es hier nicht! Es geht darum, dass mir niemand mehr glaubt, wenn ich mit anstrengend viel Seriosität in der Stimme ankündige, dass ich um Viertel-nach-Drei am vereinbarten Treffpunkt eintreffen werde. „Aber bitte sei pünktlich.“ „Ich nehme eine Zeitung mit, dann fällt mir das Warten leichter“. „Sollen wir uns nicht besser in dem geheizten Kaffee auf der anderen Strassenseite treffen?“ „Ich werde so gegen halb Vier da sein!“ So, oder ähnlich tönt es dann zurück.
Vor kurzem ist mir beim Erstellen einer Statistik meine naturwissenschaftliche Vergangenheit in Erinnerung gekommen. In irgendeiner Mathematikvorlesung erfuhr ich mit vor Spannung geöffnetem Mund von der Magie der rationalen Zahlen. Die Anzahl der Nachkommastellen drückt gleichzeitig ihre Genauigkeit, ihre Zuverlässigkeit und möglicherweise sogar ihre Herkunft aus. So ist es jedermann klar, dass die 11,76 °C von einem Präzisionsthermometer stammen müssen, während meine locker dahingeworfenen 12 Grad kaum wirklich ernst genommen werden.
Also ging ich hin, und wollte mich nicht mehr um Viertel-nach-Drei treffen. Nein, ich wollte mich um 15:17 Uhr treffen. Und wie durch ein Wunder blieben die gutgemeinten Entgegnungen aus. Ich kam immer noch zu spät und musste zwischendurch die unangenehme Frage beantworten: „Weshalb genau 17 ab?“ Aber ich konnte die Zuverlässigkeit meiner Angaben mit der einfachen Magie der rationalen Zahlen steigern.
So wird doch auch jede statistische Aussage zu einem unumstösslichen Credo für die wirtschaftliche Gemeinschaft, die sich doch so wohl fühlt, wenn man ihr zuverlässige Angaben unterbreitet. Es ist entspannend, wenn auf die prognostizierten 12,34% Umsatzwachstum keine Rückfragen kommen. Jedermann erkennt doch sofort, dass diese Zahl aus einer seriösen Kalkulation stammen muss. Auch der neu vorgeschlagene Listenpreis von CHF 137.42 muss der komplexen Maschinerie eines mit Kalkulationsmodellen vollgestopften Marketingapparates entspringen. Und die durchschnittlich 3,26 Personen entstanden doch keinesfalls im mit Vorahnungen gefüllten Bauch eines Marketingleiters.
Ein Komma und eine zusätzliche Zahl machen also bei Seiten glücklicher. Und, je weiter diese Zahl hinter dem Komma anzutreffen ist, desto genauer wird die ganze Sache und desto irrelevanter wird ihre Grösse. So wird’s gemacht, dann klappt’s auch mit der Statistik.