Paradigmenwechsel im Kommunikationszeitalter

Wir befinden uns im Kommunikationszeitalter. Und wir leben es aus, auf allen Ebenen. Im Privatleben fällt es uns leichter einen Tag lang nichts zu essen, als einen Tag ohne Facebook verbringen zu müssen. Das Kontingent von 50 SMS reicht vielfach nicht mehr aus, unser tägliches Kurzmitteilungsbedürfniss zu befriedigen. Und nicht genug damit, dass wir am Arbeitsplatz mit Emails aller Qualitätsstufen zugemüllt werden – nein, nach dem Feierabend wird fleissig weiter gemailt, vom schicken Macbook, von einem handlichen iPhone, einem weniger handlichen iPad oder von einem Gebläse-dröhnenden, persönlichen Heim-Computer. Dazwischen telefonieren wir uns die Ohren heiss, streiten uns am Sonntagmorgen um den spannendsten Bund der Sonntagszeitung, zappen uns durchs allabendliche TV-Programm und surfen akrobatisch in die entlegensten Winkel des World Wide Web.

In diesen chaotischen, üppig brodelnden Kommunikationssumpf streuen fleissige Marketingleute rund um die Uhr und die Welt griffige Werbebotschaften ein. Sie preisen ihre Produkte und Dienstleistungen als die Besten, Günstigsten, Schnellsten – schlicht als die Superlativsten an. Sie schreien es von den High Definition-Plasma-Flat-Breit-TV-Screens, durch das digitale Internetradio, das analoge Kurzwellenradio oder durch mp3-formatige Podcasts. Plakatwände, Vierfarben-Inserate und Multicolor-Adscreens am POS (cooleres Wort Marktbude) zeugen von der unwiderstehlichen Anziehungskraft eines unvorstellbar breiten Produktesortiments.

Verzweifelt sucht der Konsument nach einem Ast, an dem er sich aus dem Sumpf ziehen kann, um die Orientierung zurück zu gewinnen. Aber die Produkte sehen ja alle gleich aus. Und alle sollen die Besten sein. Auch der Preis hilft mittlerweile nicht mehr weiter. Die Zauberformel „je teurer umso besser“ hat längst seine Magie verloren. Tagtäglich muss sich der kommunikationsgestresste Konsument mit neuen Produkten herumschlagen, muss sich durch einen Angebotsdschungel schlagen, um am Schluss immer und immer wieder zwischen völlig austauschbaren Produkten entscheiden zu müssen – ein ach so ermüdendes Unterfangen neben der ununterbrochenen Verarbeitung all der vielen iPhone-Calls, SMSes, EMails und Chat-Messages.

Und mit der zunehmenden Orientierungslosigkeit schwindet das Vertrauen in die liebevoll aufbereitete Werbebotschaft!

Nur im Internet findet der müde Konsument noch Ruhe nach einem strengen Kommunikationsalltag. Hier trifft er sich in Foren, Chatrooms, Facebook oder MySpace mit Leidensgenossen. Alles Menschen, die an einem emotionalen Werbeüberdruck leiden. Menschen, die sich über die Produkte unterhalten, sie bewerten und vergleichen, um die Orientierung zurück zu gewinnen. Dabei gibt es nicht nur die Besten, Schönsten, Schnellsten. Die Bewertungsskala wird wieder auf die gesunde Dimension von „vergiss es einfach“ bis „wow, ist ja supergenial“ gebracht.

Der Konsument hat sich neu organisiert. Er hat das Vertrauen unter seinesgleichen wiedergefunden. Die fünf Sterne eines Hotels sind dieser neu entstandenen Consumer-Community nicht mehr heilig. Schnell fallen sie vom Himmel und versinken in einer lauwarmen Morgenkaffeebrühe oder in der grünen Sauce, die ein Swimmingpool sein sollte. Egal, was die fleissigen Marketing- und Werbeleute von den Dächern pfeifen. Die Konsumenten wissen es langsam besser. Sie haben all die emotionalen Kniffe der Werbesprache verstanden und durchschaut. Sie sind hingegangen und haben sich die entscheidenden Informationen herausgeschält und haben sie vom emotionalem Beigemüse befreit.

Heute sehen wir uns einer Kundschaft gegenüber, die über eine kollektive Intelligenz verfügt, welche diejenige eines durchschnittlichen Marketingmenschen bei weitem übersteigt – einer Kundschaft, die das Vertrauen in die Art und Weise, wie wir unsere Produkte anbieten, verloren hat. Um dieses Vertrauen zurück zu gewinnen, bedarf es dringendst einer neuen Art der Kommunikation. Wir sind nicht mehr länger die Weisen aus dem Morgenland, die den Konsumenten in blumiger Sprache und mit herablassender Arroganz von unseren neuen Produkten erzählen müssen. Vielmehr sollten wir uns darum bemühen, einen gleichwertigen Teil ihrer Community zu werden – als gleichberechtigtes und akzeptiertes Mitglied dieser Konsum-Expertengruppe.

Dies ist schnell und einfach niedergeschrieben. Die Umsetzung in die Praxis sieht jedoch etwas komplizierter aus, da sie ein grundsätzliches Umdenken auf allen Stufen eines hierarchisch organisierten Unternehmens erfordert: aus Werbebotschaften werden Beiträge, aus Angebot wird Kompetenz, aus einem raffinierten Werbeslogan wird eine ehrliche Produkteauskunft, aus Verkaufsargumenten werden Erfahrungsberichte, aus einem Monolog wird ein Dialog und aus Zielgruppen werden Lebensstile – alles in allem eben ein echter Paradigmenwechsel.

 

 

 

© Peter Waltenspühl, 2019

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